SALUT Kosmos – Sigmund Jähn, Sojus 31 und die sozialistische Raumfahrt
Am 26. August 1978 schrieb die DDR Raumfahrtgeschichte: Mit Sojus 31 startete Oberst Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All. Der Flug zur Raumstation Salut 6 war wissenschaftlich bedeutsam, politisch symbolträchtig und Ausdruck der engen deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit im Rahmen des Programms Interkosmos. Dieser Beitrag erzählt die Geschichte hinter der Mission, porträtiert die Besatzung, ordnet wissenschaftliche Ergebnisse ein und blickt auf die Meilensteine, die diesen Erfolg möglich machten.

Sigmund Jähn – Herkunft, Ausbildung, Überzeugung
Geboren: 13. Februar 1937 in Rautenkranz, Kreis Klingenthal
Herkunft: Sohn eines Sägewerksarbeiters, erlernte nach der Grundschule den Beruf des Buchdruckers.
Armee & Partei: Mit 18 Jahren Eintritt in die bewaffneten Kräfte der DDR; Mitglied der SED.
Fliegerische Laufbahn: Ausbildung zum Jagdflieger an der Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung „Franz Mehring“; über 1000 Flugstunden, Leistungsklasse I.
Studium in der UdSSR: Mehrjährige Qualifizierung an der Militärakademie der Luftstreitkräfte „Juri Gagarin“.
Familie: Verheiratet, zwei Töchter (zur Zeit des Fluges 20 und 12 Jahre alt).
Jähn verkörpert den sozialistischen Aufstiegsweg: vom Lehrberuf zum Offizier und Fliegerkosmonauten, getragen von Disziplin, Technikbegeisterung und politischer Überzeugung.

Waleri Bykowski – der erfahrene Kommandant
Geboren: 2. August 1934 in Pawlowski Posad (Moskauer Gebiet)
Ausbildung: Katschinsker Militärfliegerschule; Dienst in Fliegertruppenteilen der Sowjetarmee
Kosmonautenlaufbahn: Aufnahme 1960 in die Kosmonautengruppe; erster Raumflug Wostok 5 (Juni 1963)
Akademische Qualifikation: 1968 Abschluss der Militärakademie für Ingenieure der Luftstreitkräfte „Prof. N. J. Shukowski“; 1973 Promotion zum Kandidaten der Technischen Wissenschaften
Zweiter Raumflug: September 1976
Ehrungen: Zweifacher Held der Sowjetunion; nach Sojus 31 auch „Held der DDR“
Familie: Verheiratet, zwei Söhne
Bykowski brachte als Kommandant Erfahrung, Ruhe und technische Souveränität in die Mission ein – ideale Voraussetzungen für eine komplexe Kopplungs- und Arbeitsphase an der Raumstation.

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Die Mission Sojus 31 – Start, Kopplung, Rückkehr
Start: 26. August 1978
Besatzung: Waleri Bykowski (Kommandant), Sigmund Jähn (Forschungskosmonaut)
Ziel: Raumstation Salut 6
Im Orbit: Zusammenarbeit mit der Langzeitbesatzung Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwantschenkow (Sojus 29)
Rückkehr: 3. September 1978 – Landung in Sojus 29 (das übliche „Fahrzeugtausch“-Manöver der Salut-Ära)
Die Mission folgte dem Salut-6-Betriebskonzept: Ein erfahrener Kommandant führt einen Interkosmos-Gästekosmonauten zur laufenden Besatzung, Experimente werden durchgeführt, Verbrauchsgüter und Ergebnisse ausgetauscht, anschließend kehrt die Besuchscrew mit dem „älteren“ Schiff zur Erde zurück.

Training und Vorbereitung
Das Training fand im Kosmonautentrainingszentrum „Juri Gagarin“ statt und umfasste:
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Bordsysteme & Notfallprozeduren (Sojus, Salut, Kopplung)
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Medizinische & vestibuläre Tests (Anpassung an Schwerelosigkeit)
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Isolations- und Gruppentraining (Teamkommunikation, Arbeitsdisziplin)
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Überlebenstraining für Landungen in unterschiedlichen Klimazonen
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Nutzlast- und Experimenttraining, inklusive DDR-Spezialtechnik
Bykowski beschrieb die Zusammenarbeit mit Jähn als kameradschaftlich und hochprofessionell – man „verstand sich wie Brüder“.

Wissenschaftliche Experimente – Interkosmos in der Praxis
Der Besuch auf Salut 6 war ein Laboraufenthalt im Orbit. Schwerpunkte:
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Erdbeobachtung & Fernerkundung: Multispektrale Aufnahmen zur Landnutzung, Forst- und Gewässeranalyse; Test und Einsatz optischer Systeme aus DDR-Produktion (Feinoptik/Jena).
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Materialforschung: Kristallisation, dünne Schichten und Legierungen unter Mikrogravitation zur Untersuchung von Struktur- und Reinheitseffekten.
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Biomedizin & Physiologie: Messungen zu Kreislauf, Muskeltonus, Gleichgewichtssinn; Dosimetrie und Strahlenbelastung im Langzeitbetrieb.
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Technologiedemonstrationen: Arbeitsorganisation im Vier-Mann-Verbund, Logistik mit Progress-Transportern, Datenerfassung und -übertragung.
Diese Experimente lieferten sowohl anwendungsnahe Daten (z. B. für Kartographie und Ressourcenplanung) als auch grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse über Prozesse in der Schwerelosigkeit.

Salut 6 – Technik, Betrieb, Logistik
Salut 6 markierte einen Generationssprung:
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Zwei Kopplungsstutzen ermöglichten parallel: Langzeitbesatzung + Besuchscrew/Transporter
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Versorgung durch „Progress“ (Treibstoff, Wasser, Luft, Ersatzteile, Experimente)
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Erweiterte Energie- und Lebenserhaltungssysteme für Monate im Orbit
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Daten- und Filmrückführung über Transportraumschiffe und Rückkehrkapseln
Dieser modulare Betrieb war die Voraussetzung für Interkosmos-Besuche und eine hohe wissenschaftliche Ausbeute.

Interkosmos – internationale sozialistische Zusammenarbeit
Die Mission Sojus 31 stand in einer Reihe prominenter Flüge:
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Sojus 26: Juri Romanenko – Georgi Gretschko
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Sojus 27: Wladimir Dschanibekow – Oleg Makarow
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Sojus 28: Alexei Gubarew – Wladimir Remek (CSSR, erster „Interkosmonaut“)
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Sojus 29: Wladimir Kowaljonok – Alexander Iwantschenkow (Langzeit)
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Sojus 30: Pjotr Klimuk – Mirosław Hermaszewski (VR Polen)
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Sojus 31: Waleri Bykowski – Sigmund Jähn (DDR)
Interkosmos war politisch eine Völkerfreundschaft im All – und fachlich ein Katalysator, der wissenschaftliche Geräte, Ingenieurswissen und Ausbildungswege in einem gemeinsamen Programm bündelte.
Auszeichnungen und Würdigung
Nach der erfolgreichen Mission erhielt Sigmund Jähn höchste Ehrungen:
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Held der Sowjetunion
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Held der DDR
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Verdienter Militärflieger der DDR
Die DDR sah in diesem Flug ein Prestigeprojekt: wissenschaftlicher Fortschritt, internationale Anerkennung und ein starkes Signal zum 30. Jahrestag der Republik. Jähns Widmung „seinem sozialistischen Vaterland“ stand sinnbildlich dafür.
Technik am Beispiel der Sojus-Raumschiffe
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Sojus-Kapsel: Dreiteilig (Orbitalmodul, Landekapsel, Gerätemodul)
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Landekapsel: Wiedereintrittskörper mit Hitzeschild, Fallschirm- und Bremstriebwerkssystem
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Avionik & Lebenserhaltung: Redundante Steuerung, automatische und manuelle Kopplungsoptionen
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Betriebskonzept: „Fahrzeugtausch“ bei Salut-Missionen: Besuchscrew landet in dem zuvor angedockten, jüngeren Schiff der Langzeitcrew
Diese Architektur machte sichere Kopplungen, längere Aufenthalte und reguläre Besuchsflüge erst praktikabel.
Zeitleiste der sowjetischen Pionierleistungen (Auswahl)
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1957: Sputnik 1 – erster künstlicher Erdsatellit
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1959: Lunik 3 – erste Fotos der Mondrückseite
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1961: Juri Gagarin – erster Mensch im All
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1963: Walentina Tereschkowa – erste Frau im All
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1965: Alexei Leonow – erster Außenbordeinsatz
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1966: Luna 9 – erste weiche Mondlandung
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1970: Lunochod 1 – erstes Mondmobil
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1971: Salut 1 – erste Raumstation
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1977–1978: Salut 6 – Progress-Versorgung, Mehrfachkopplungen, Interkosmos
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1978: Sojus 31 – Sigmund Jähn als erster Deutscher im All
Wirkung in der DDR – Symbolik und Alltagsbezug
Der Flug war in Schulen, Betrieben und Massenorganisationen präsent – Ausstellungen, Unterrichtseinheiten, Dia-Reihen und Wandzeitungen machten Raumfahrt anschaulich. Für viele DDR-Bürger wurde Jähn zum greifbaren Vorbild: Technikbegeisterung, Bildungsaufstieg, internationale Kooperation. Zugleich flossen Mess- und Fernerkundungsdaten in konkrete Planungen (Land- und Forstwirtschaft, Hydrologie, Kartographie) ein.

Zitat und Selbstverständnis
„Ich widme meinen Flug dem 30. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik, meinem sozialistischen Vaterland.“
Der Satz fasst Anspruch und Zeitgeist zusammen: Forschung im Dienst der Gesellschaft, kollektive Leistung und politischer Auftrag.
Sojus 31 und Salut 6 zeigen, wie Technik, Ausbildung und internationale Zusammenarbeit in der sozialistischen Raumfahrt zusammenspielten. Sigmund Jähn steht dafür, dass Talent, Disziplin und Bildung Wege öffnen – vom Erzgebirge in die Erdumlaufbahn. Wissenschaftlich brachte die Mission greifbare Resultate, politisch war sie ein starkes Symbol. Beides zusammen erklärt, warum dieser Flug bis heute in Erinnerung bleibt.
Quellenhinweis
Materialgrundlage: „SALUT Kosmos – Kleinausstellung für die Sichtagitation“, Militärverlag der DDR (VEB), Redaktion Politische Massenarbeit, Berlin; Redaktionsschluss 30. 08. 1978. Ergänzt um allgemein bekannte Missionsdaten zu Sojus 31/Salut 6 und Interkosmos.